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Berlin
vor 20 Jahren: Reiseführer "Ost-Berlin"
Auszüge aus dem Reiseführer "Ost-Berlin",
der anlässlich der 750-Jahr-Feier beider Stadthälften vom Informationsamt
Berlin (West) herausgegeben wurde und Aufklärungsarbeit über
die unbekannte andere Stadthälfte leisten sollte.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Prof. Dr. Eckart Stratenschulte
und der Senatskanzlei Berlin.
Ost-Berlin heute
Die Funktion einer Hauptstadt wahrzunehmen, bedeutet in einem zentralistischen
Staat mehr als in einem föderalen. So ist es auch nicht verwunderlich,
dass der Bevölkerungszuzug aus der DDR nach Ost-Berlin anhält.
Ost-Berlin, der Regierungssitz, die Wirtschaftszentrale, die Kulturmetropole,
die Stadt, die bei der Versorgung gegenüber der Republik bevorzugt
wird, wirkt auf viele DDR-Bürger wie ein Magnet. Dies um so mehr,
als durch die räumliche and geistige Nähe zum Westen mit seinen
Fernsehprogrammen and zahlreichen deutschen and ausländischen Besuchern
auch eine gewisse Weltoffenheit entsteht, die in den Städten der
"Provinz" fehlt.
Bevölkerung, Altersstruktur
Ost-Berlin hatte Ende 1985 1.215.586 Einwohner, davon 644.275 weibliche.
Es gibt also über 70.000 Frauen mehr als Männer. 173.157 Ost-Berliner
waren im Rentenalter, 221.677 waren Kinder unter 15 Jahren. 67,5% der
Wohnbevölkerung waren im arbeitsfähigen Alter. Dies ist der
höchste Prozentsatz in der ganzen DDR (den niedrigsten hatte Dresden
mit 62,7%). Die Bevölkerungsdichte in Ost-Berlin lag 1985 bei 3.016
Menschen pro qkm (zum Vergleich: Stadt Dresden: 2.300, Stadt Leipzig:
3.792, DDR-Durchschnitt: 154). Allerdings schwankt sie innerhalb Ost-Berlins
noch einmal sehr stark. Der dichtestbesiedelte Stadtbezirk ist der Prenzlauer
Berg, hier wohnten 1985 15.433 Menschen auf einem Quadratkilometer. In
Köpenick lebten auf der gleichen Fläche nur 943 Menschen. Ost-Berlins
Einwohnerzahl soll in den nächsten 25 Jahren um fast ein Drittel
zunehmen. Nach jüngsten Bevölkerungsprognosen
aus dem Ost-Berliner Institut für Soziologie und Sozialpolitik ist
im Unterschied zu anderen Regionen der DDR, wo mit einem Bevölkerungsruckgang
gerechnet werden muß, für Ost-Berlin bis zum Jahr 2011 ein
Zuwachs der Einwohner um etwa 29 Prozent zu erwarten. Falls die Prognosen
zutreffen, erhöht sich die Einwohnerzahl Ost-Berlins von 1,25 Millionen
Ende 1986 auf über 1,6 Millionen im genannnten Zeitraum. Von 1971
bis 1985 nahm die Bevölkerung Ost-Berlins bereits um rund elf Prozent
zu. Rund 79 Prozent des Gesamtzuwachses der Ost-Berliner Bevölkerung
entfallen im Prognosezeitraum auf Wanderungsgewinne. Der Rest geht auf
den erwarteten Geburtenzuwachs zurück. Die Altersstruktur wird sich
jedoch nur unwesentlich verändern: Von den Ost-Berlinern werden im
Jahre 2011 nach den Voraussagen 19 Prozent Kinder unter 15 Jahren und
15,4 Prozent Rentner sein, während sich 65,5 Prozent im arbeitsfahigen
Alter befinden.
Auffallend an der Sozialstruktur der Ost-Berliner Werktätigen ist
der hohe Anteil an hochqualifizierten Kräften, die ein Studium absolviert
haben. Jeder vierte Zuwanderer besitzt einen Hochschul- oder Fachschulabschluß.
Ost-Berlin liegt damit weit über dem Durchschnitt anderer DDR-Großstädte.
Etwa ein Fünftel des Forschungs- und Entwicklungspersonals der DDR
ist dort konzentriert.
Gebiet,
Stadtbezirke, Stadtverwaltung
Von den Bezirken Lichtenberg and Weißensee wurden drei neue kommunale
Untergliederungen, nämlich Marzahn, Hellersdorf and Hohenschönhausen
abgeteilt, so daß es in Ost-Berlin - mit den Bezirken Mitte, Pankow,
Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow and Köpenick seit 1986 11
kommunale Untergliederungen gibt, die einheitlich Stadtbezirke genannt
werden. Ost-Berlin hat eine Fläche (1985) von 403 Quadratkilometern,
davon 106 Qudratkilometer Wald and Wasser. Die größte Ost-West-Ausdehnung
beträgt 20 km, die größte Nord-Süd-Ausdehnung 38
km.
Die wald- and seenreichen Randgebiete Ost-Berlins bieten gute Naherholungsmoglichkeiten.
Der Schwerpunkt der Naherholung liegt innerhalb der Stadt im sudöstlichen
Wald-Seen-Gebiet rings um den Müggelsee. Entlang der Spree erstreckt
sich unter Nutzung bestehender Waldflächen und Parks (z.B. des Treptower
Parks) eine Erholungszone stadteinwärts.
Zu den nennenswerten Parkanlagen gehören außerdem der Volkspark
Friedrichshain and die Schönholzer Heide im Bezirk Pankow.
Eine neue Grünanlage, der Ernst-Thälmann-Park, befindet sich
im Bezirk Prenzlauer Berg. Weit verbreitet sind auch die Schrebergärten,
die 1986 insgesamt eine Fläche von rund 4.000 ha bedeckten.
In jedem der Stadtbezirke gibt es eine Stadtbezirksversammlung, der je
nach Bevolkerungszahl zwischen 90 und 225 Abgeordnete angehören.
Die Stadtbezirksversammlung beruft den Rat des Stadtbezirks, der allerdings
nicht nur ihr, sondern auch dem Magistrat verantwortlich ist. Der Rat
des Stadtbezirks wird vom Stadtbezirksbürgermeister geleitet.
Der "Magistrat von Berlin, Hauptstadt der DDR" besteht aus dem
Oberbürgermeister, der seit 1976 auch dem Ministerrat der DDR angehört,
dem Ersten Stellvertreter des Oberbürgermeisters, elf weiteren Stellvertretern,
zehn
Stadträten und dem Sekretär des Magistrats. Jedes Magistratsmitglied,
außer dem Oberbürgermeister and seiner ersten Stellvertreter,
ist für einen bestimmten Bereich zuständig (z.B.fur "Wohnungspolitik
and Wohnungs- wirtschaft"). Jedem Ressortinhaber ist eine der 16
Ständigen Kommissionen zugeordnet, die aus Stadtverordneten besteht
und ihm Empfehlungen gibt. Dieser Kommission ist der jeweilige Stadtrat
rechenschaftspflichtig. Nur drei der 24 Mitglieder des Magistrats waren
1986 Frauen, darunter allerdings der "Erste Stellvertreter des Oberbürgermeisters".
Die meisten Magistrats- mitglieder gehören der SED an; die "Blockparteien"
stellen jeweils einen stellvertretenden
Oberbürgermeister. Der Magistrat, der seinerseits wieder um dem Ministerrat
der DDR untersteht, wird von der Stadtverordnetenversammlung gewählt.
Ihr gehören 225 Abgeordnete an, davon 56 von der SED. Die anderen
Parteien stellen jeweils 22 Mitglieder des Stadtparlamentes. Daruber hinaus
sind der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund mit 41, die Freie Deutsche Jugend
mit 16, der Demokratische Frauenbund mit 14, der Kulturbund mit 6 and
die Vereinigung
der gegenseitigen Bauernhilfe mit 4 Abgeordneten vertreten. Wie in der
Volkskammer auch, sind die meisten Abgeordneten der "Massenorganisationen"
zugleich SED-Mitglieder. Die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung erfolgt
in derselben Weise wie die zur Volkskammer. Die letzte Wahl fand im Juni
1986 statt. Die Stadtverordnetenversammlung tagt in der Regel viermal
jährlich.
Stadtbild, Bauen, Wohnen
Am
3. Februar 1976 faßte das Politbüro der SED einen Beschluß
über die "Aufgaben der Entwicklung der Hauptstadt der DDR, Berlin",
in dem die "Rolle Berlins als politisches, wirtschaftliches und geistig-kulturelles
Zentrum" hervorgehoben wurde. Der Ausbau Ost-Berlins wurde zu einer
"Sache der gesamten Republik" erklärt (SED-Generalsekretar
Honecker). Die Bezirke der DDR wurden verpflichtet, bei der Verwirklichung
der "großen Aufgaben"
mitzuwirken. In der Tat ist die in Ost-Berlin geleistete Aufbau- and Entwicklungsarbeit
beachtlich. Zum Teil wurden allerdings die Schäden behoben,die erst
durch die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bausubstanz eingetreten
waren.
Der Ausbau Ost-Berlins hatte und hat drei Schwerpunkte:
1. die Wiederherstellung des alten Stadtzentrums im Bezirk Mitte,
2. die Schaffung von Neubaugebieten und
3. die Sanierung der vorhandenen Altbauten.
Nachdem man viele Jahre darauf gesetzt hatte, das Innenstadtgebiet völlig
neu zu gestalten (Beispiele: Alexanderplatz, Palast der Republik, Außenministerium)
und diesem Ziel auch historische Bausubstanz geopfert hatte (z.B. das
beschädigte, aber keineswegs total zerstörte Stadtschloß),
begann in den 70er Jahren ein Umdenken. Die historischen Bauten wurde
originalgetreu restauriert, auch wenn dies im Einzelfall nicht leicht
war. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Wiederherstellung
des alten Gendarmenmarktes (heute: Platz der Akademie), mit dem Schauspielhaus,
dem Deutschen and dem Französischen Dom. Alle drei Gebäude waren
völlige Ruinen, aus deren Dächerresten die
Bäume wuchsen. Heute ist der Platz eine Sehenswiirdigkeit, die kein
Tourist ausläßt. Das Schauspielhaus ist als Konzertgebaude
ausgestaltet and bietet musikalische Unterhaltung auf hohem Niveau. Hierwurde
mit einem Konzert am Neujahrstag 1987 unter Teilnahme von Vertretem der
West-Mächte sowie des Standigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland
die 750-Jahr-Feier in Ost-Berlin eingeleitet.
Der Deutsche Dom soll nach seinem vollständigen Wiederaufbau als
Zentrum für nationale and internationale Kunstausstellungen genutzt
werden.
Die Französische Kirche dient protestantischen Gemeinden für
kirchliche Zwecke, im Turm befindet sich das Hugenottenmuseum. Gegenüber
dem Französischen Dom wurden neue Wohnhäuser errichtet.
Im Umfeld dieses historischen Platzes wird auch die traditionsreiche Friedrichstraße,
eine rund 2,5 Kilometer lange Magistrale im Zentrum Ost- Berlins, wieder
aufgebaut. Bis zum Jahre 1990 sollen hier rund 3.000 Wohnungen, 158 Geschäfte,
63 Gaststätten und weitere gesellschaftliche Einrichtungen entstehen.
Rund um die - ebenfalls im Krieg zerstörte - Nikolaikirche ist zur
750-Jahr- Feier ein Altbauviertel entstanden, mit dessen Errichtung man
sogar einen Schritt weiterging. Nicht nur das wurde aufgebaut, was vor
der Zerstorung dort gestanden hatte, sondern auch historische Bauten,
die ursprünglich einen anderen Standort hatten. Das auf 40.000 Quadratmetern
angelegte Nikolaiviertel zwischen Marx-Engels-Forum und Mühlendamm,
Spree and Rotem Rathaus besteht aus Neubauten - angelehnt an den Stil
Alt-Berliner Bürgerhäuser - mit Geschäften, Kneipen and
historisch detailgetreu rekonstruierten Gebäuden wie der alten Gerichtslaube
und der historischen Gaststätte "Zum Nußbaum". Auch
das Ephraim-Palais von Veitel Ephraim, dem Hofjuwelier und Münzpaächter
Friedrichs II. wurde - wenn auch nicht am ursprünglichen Standort
- wieder errichtet. Die Original-Fassadenteile dieses Rokoko-Baus aus
der Mitte des 18. Jahrhunderts waren im Rahmen des Kulturgüter-Austauschs
1983 von West- nach Ost-Berlin zurückgegeben worden.
Einige der insgesamt 30 Bürgerhäuser aus drei Jahrhunderten
sollen an bedeutende Literaten erinnern, so die Theodor-Fontane-Apotheke
und das Lessinghaus am Nikolaikirchplatz. Um die Nikolaikirche, die seit
dem 15. Mai 1987 auch als Außenstelle des Ost-Berliner Märkischen
Museums genutzt wird, gruppieren sich insgesamt 788 Wohnungen, 22 Gaststätten
and 30 Ladengeschäfte. Die Bürgerhauser haben Raumhöhen
bis zu 3,80 Meter, während die aus vorgefertigten Platten errichteten
Wohnungen zum Marx- Engels-Forum hin 2,80 Meter hoch sind. Die Mieten
der 36 bis 82 Quadratmeter großen Wohnungen entsprechen mit 1,20
Mark pro Quadratmeter der Ost-Berliner Neubaumietnorm. Die Evangelische
Kirche wurde zur Restaurierung des Berliner Doms gedrängt, für
die sie allerdings (unterstützt von westdeutschen Spendengeldern)
auch selbst aufkommen muß. Im Gegenzug wurde ihr die Errichtung
kirchlicher Bauten in Neubauvierteln gestattet. 1980 wurde auch das Reiterstandbild
Friedrichs II., das über 30 Jahre in Potsdam stand, fast auf den
Meter genau auf seinen ursprünglichen Platz Unter den Linden zurückgebracht.
Als der Senat von Berlin 1981 die Figuren der Schloßbrücke
(heute: Marx-Engels-Brücke) an Ost-Berlin zurückgab, wurden
diese dankbar akzeptiert und wieder aufgestellt.
Auch das von 1871 bis 1935 vor dem Schinckelschen Schauspielhaus stehende
Schillerdenkmal, das sich von 1951 bis 1986 im Lietzenseepark in Charlottenburg
befand, kehrte zur Jubiläumsfeier an seinen alten Standort zurück.
In den nächsten Jahren soll auch die Museumsinsel nach alten Plänen
"rekonstruiert" werden. Der Ausbau der gastronomischen Einrichtungen
in der Innenstadt hat zwar die Warteschlangen vor den Speiserestaurants
noch nicht übertflüssig gemacht, aber immerhin verkürzt.
Die SED hatte auf ihrem VIII. Parteitag 1971 in Ost-Berlin den Wohnungsbau
zum Kernstück ihrer neuen Sozialpolitik erklärt und beschlossen,
die Wohnungsfrage bis 1990 "als soziales Problem" gelöst
zu haben. Damit war gemeint, daß auch im Jahre 1990 nicht jeder
die Wohnung werde haben können, die er sich wünscht, daß
aber jeder über eine angemessene (d.h. zumutbare) Wohnung verfügen
sollte. Ende 1985 gab es in Ost-Berlin 567.000 Wohnungen. Bei der Lösung
der Wohnungsfrage setzte die DDR in den ersten Jahren nach dem Beschluß
fast ausschließlich auf den Neubau in industrieller Fertigungsbauweise.
In der Tat wurden von 1971 bis 1985 1,57 Mio. Wohnungen neu gebaut, weitere
840.000 saniert. Auf Ost-Berlin, wo
7,3% der DDR-Bürger wohnen, entfielen davon 10,3, % der Neubauwoh-
nungen und 10,7 % der sanierten Wohnungen. Bauarbeiter aus der gesamten
Republik sind in Ost-Berlin mit dem Wohnungsbau befaßt. Daß
die sich daraus ergebende lange Abwesenheit der Bauarbeiter von zu Hause
in den Bezirken der DDR nicht nur Begeisterung auslöst, ist leicht
verstandlich.
Schon jetzt ist der Ausstattungsstandard der Ost-Berliner Wohnungen höher
als in der Republik. Nach Angaben Erich Honeckers auf dem XI.Parteitag
der SED 1986, die von westlichen Experten allerdings für zu positiv
gehalten werden, beasaßen 1985 84% der Ost-Berliner Wohnungen Bad
und Dusche (DDR-Durchschnitt 74%) und 93% eine Toilette innerhalbt der
Wohnung (DDR-Durchschnitt: 68%).
In den letzten Jahren sind in Ost-Berlin ganze Neubauviertel entstanden,
die mittlerweile zu eigenen Stadtbezirken wurden: Marzahn, Hohenschönhausen
und Hellersdorf. Während der Ausbau des 1979 als Stadtbezirk gegründetetn
Marzahn mit nunmehr ungefähr 200.000 Einwohnern im großen und
ganzen abgeschlossen ist, wachsen die beiden anderen 1986 ins Leben gerufenen
Stadtbezirke buchstäblich jede Woche. Etwa 140.000 (Hohenschönhausen)
bzw. 130.000 (Hellersdorf) Menschen sollen hier 1990 wohnen. Bis zu jenem
Jahr werden in Ost-Berlin laut Plan insgesamt 166.000 Wohnungen entstehen,
davon
117.000 durch Neubau. Man erhofft sich so fur die nächsten Jahre
eine spürbare Entkrampfung auf dem Wohnungsmarkt, der durch weiteren
Zuzug, zahlreiche Familiengründungen, aber auch die hohe Scheidungsrate
(auch hier steht Ost-Berlin in der DDR mit Abstand an der Spitze) und
die mangelhafte Ausstattung vieler Altbauwohnungen belastet wird. Zwar
hat in den Jahren 1971 bis 1985 jeder zweite Ost-Berliner eine neugebaute
oder sanierte Wohnung bezogen, aber geschiedene Ehepaare müssen bislang
noch durchschnittlich zwei Jahre warten, bis einer der Partner eine andere
Wohnung zugewiesen bekommt. Manche Paare wohnen auf diese Weise geschieden
länger zusammen als verheiratet.
Insgesamt werden in der DDR einschließlich Ost-Berlin rund 85% bis
90% aller Gebäude in Fertigbauweise errichtet. Die Neubauviertel
entstehen praktisch nur auf diese Art. Durch die normierten Hauser wirken
die neu entstandenen Stadtbezirke noch trister, als das bei Neubauvierteln
schon generell der Fall ist.
Viele Menschen möchten zwar eine "Vollkomfort-Wohnung"
haben, d.h. über Bad, Toilette und Zentralheizung verfügen,
aber nicht in ein solches "Wohnghetto" ziehen. Großes
Interesse besteht daher an einer sanierten Wohnung im bisherigen Wohnbereich,
der wie z.B. der Prenzlauer Berg historisch gewachsen ist und so etwas
wie Heimat verkörpert ("Kiez" sagen die
Berliner dazu). Auch der Staat hat erkannt, daß es volkswirtschaftlich
unsinnig ist, neuen Wohnraum zu bauen und gleichzeitig den bestehenden
verrotten zu lassen. So wird gerade in den alten Arbeiterwohnquartieren
Prenzlauer Berg und Friedrichshain sehr viel getan, den vorhandenen Wohnraum
zu modernisieren. Man unterscheidet dabei drei Stufen: die erste umfaßt
das Legen eines Wasseranschlusses, den es bislang keineswegs in allen
Ost-Berliner Wohnungen gibt, das Setzen einer Innentoilette sowie die
Abwasserbeseitigung; Kategorie zwei sieht zusätzlich eine Dusche
oder ein Bad sowie ein System zur Heißwasserbereitung vor; die dritte
Kategorie ergänzt die Leistungen der ersten beiden um ein modernes
Heizsystem.
Einzelne Baulücken, von denen es nach Angaben des Ost-Berliner Chefarchitekten
1986 noch weit uber 10.000 gab, werden mit Neubauten in Fertigbauweise
geschlossen. Allerdings werden die Bauten so modifiziert, daß sie
sich ins Straßenbild einfügen. In dieser Lückenbebauung
zeigt sich, daß es durchaus möglich ist, Fertigteilbauten zu
errichten, die auch ästhetischen Ansprüchen genügen.
Die Mieten sind zwar in Ost-Berlin teurer als in den Bezirken der DDR,
jedoch nach westlichen Maßstäben (auch unter Berücksichtigung
der unterschiedlichen Einkommenshöhe) äußerst niedrig.
Eine Neubauwohnung kostet in Ost-Berlin zwischen 1 Mark und 1,25 Mark
Monatsmiete pro qm (DDR-Bezirke: 80 bis 90 Pfennig). Für Altbauten
gelten die Mieten aus dem Jahr 1938. Eine Wohnung zu bezahlen, ist also
in Ost- Berlin kein Problem. Schwierig ist es allerdings, eine zu bekommen.
Wohnungen werden nur über den Staat bzw. mit dessen Genehmigung vergeben.
Der entsprechende Antrag ist beim Rat des Stadtbezirks zu stellen.
Die Größe der Wohnung, die man beantragen und beanspruchen
kann, richtet sich nach der Familiengröße. Allerdings geht
man in Ost-Berlin zunehmend dazu über, ein wahrscheinliches Familienwachstum
von vornherein zu berücksichtigen. Junge Ehepaare werden bevorzugt
mit Wohnraum versorgt.
Nicht verheiratete Paare können keine gemeinsame Wohnung beantragen.
Natürlich können sie in der eventuell vorhandenen Wohnung eines
Partners zusammenleben, aber der größere Wohnraum fur zwei
Personen steht ihnen nicht zu. Bevorzugt bei der Wohnungsvergabe werden
außerdem Personen,
die sich um die Sicherung oder Stärkung der DDR verdient gemacht
haben (also z.B. Angehörige von Armee und Polizei oder ausgezeichnete
Arbeiter) sowie kinderreiche Familien. Daneben versuchen die Bezirksverwaltungen,
Härtefälle zügig zu lösen.
Normalerweise wartet man in Ost-Berlin mehrere Jahre auf eine eigene Wohnung.
Hat man sie bekommen, kann man sie behalten, auch wenn die Voraussetzungen
für die beanspruchte Fläche weggefallen sind (z.B. durch den
Tod des Mitbewohners, Scheidung oder Wegzug der Kinder). Der Staat versucht
allerdings vor allem ältere Menschen mil großen Wohnungen auf
freiwilliger Basis zu bewegen, in eine kleinere umzuziehen, wobei er Hilfe
beim Umzug, bei der Renovierung usw. offeriert.
Auch ohne staattiches Eingreifen versuchen die Bürger Ost-Berlins
an geeigneten Wohnraum heranzukommen. Zahlreiche Such- und Tauschanzeigen
zeugen davon. Dies ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.
Kontakte
Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin, das von den Siegermächten
des 2. Weltkrieges 1971 geschlossen wurde und 1972 in Kraft trat, hat
die Kontakte zwischen West- und Ost-Berlin wesentlich erleichtert.
Seit 1972 können West-Berliner wieder nach Ost-Berlin und in die
gesamte DDR fahren. In West-Berlin wurden fünf Büros für
Besuchs- und Reiseangelegenheiten eingerichtet. Dort nehmen DDR-Bedienstete
Anträge entgegen. Nach zwei Werktagen erhalten die Antragsteller
einen "Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums", gegen
den sie dann am Übergang ein Visum ausgestellt bekommen. Die Kosten
für die Ausstellung des Visums (5 DM) hat der Besucher nicht zu tragen,
da sie vom Senat von Berlin mit der DDR verrechnet werden.
Personen, die mehrmals in einem überschaubaren Zeitraum nach Ost-Berlin
oder in die DDR fahren wollen, können beim Besucherbüro einen
"Mehrfachberechtigungsschein" beantragen, der insgesamt zu neun
Einreisen berechtigt und drei Monate gültig ist. Auf einem solchen
Mehrfachberechtigungsschein (umgangssprachlich: "Neunerkarte")
konnen weitere Besuche sofort im Büro fur Besuchs- und Reiseangelegenheiten
eingetragen werden. Damit entfällt die zweitägige Wartezeit.
Allerdings müssen auch die West-Berliner den Mindestumtausch entrichten,
den die DDR von allen Besuchern aus "nichtsozialistischen Staaten"
verlangt.
Von der drastischen Erhöhung des Mindestumtausches, den die DDR 1980
vorgenommen hat, waren die West-Berliner besonders betroffen.
Während er für DDR-Besuche von 13 auf 25 DM angehoben wurde,
wurde er für Ost-Berlin-Besuche fast vervierfacht (von 6,50 auf 25
DM). Dieser Mindestumtausch ist vor allem dann ein Hindernis, wenn man
nicht als Tourist nach Ost-Berlin fährt (und dort Restaurants aufsucht,
Eintrittsgelder bezahlt usw.), sondern Verwandte oder Bekannte besucht.
Vor allem die Einbeziehung der Rentner in den Mindestumtausch stellt eine
schwere Belastung der Besuchsvereinbarung dar, auch wenn deren Mindestumtausch
nach jahrelangen Bemühungen von 25.- DM auf 15.- DM ermäßigt
wurde. Neben dieser teilweisen Rücknahme der Erhöhung des Mindestumtausches
für alle Alters-, Invaliden- und Unfallrentner wurde ebenfalls im
Jahre 1984 die Ausreisemöglichkeit für Alters- und Invalidenrentner
aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland und nach Berlin (West) auch
zum Zwecke des Besuches von Bekannten (nicht nur Verwandten) erweitert
und die mögliche Ausreisedauer auf 60 Tage (bis dahin 30 Tage) ausgedehnt.
1986 hat es rund 2 Mio. Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin and der
DDR gegeben. In den Jahren vor der Erhöhung des Mindestumtausches
waren es jeweils über 3 Mio. Besuche.
Im gleichen Zeitraum gab es ca. 1,7 Mill. Reisen von Rentnern aus der
DDR nach Berlin(West) and in die Bundesrepublik Deutschland. Auch die
Zahl der Besuchsreisen in dringenden Familienangelegenheiten von Einwohnern
der DDR, die noch nicht im Rentenalter stehen, hat sich 1986 gegenüber
1985 mindestens auf über 200.000 verdreifacht. (Über exakte
Angaben verfügt die Bundesreglerung nicht, da im wesentlichen die
DDR-Bürger gezählt werden, die sich bei einer Behörde in
der Bundesrepublik melden. Erich Honecker nannte sogar eine Zahl von 573.000
entsprechenden Reisen und kündigte für 1987 eine weitere Steigerung
an.)
Dies zeigt, daß trotz mancher Rückschlage bei den Kontakten
zwischen Ost und West das Klima seit 1972 wesentlich freundlicher geworden
ist. Beauftragte der Senatskanzlei und des Ost-Berliner Außenministeriums
treffen sich und besprechen Probleme, die sich fur beide Seiten aus der
Besuchsregelung ergeben. Von West-Berliner Seite werden dabei vor allem
Einreiseverweigerungen nach Ost-Berlin und in die DDR moniert. Ost-Berlin
führt z.B. Klage über Gesetzesverstöße der Westbesucher
(Verkehrsvorschriften, Devisengesetze u.a.).
Die vergrößerte Gesprächsbereitschaft hat es daruber hinaus
auch möglich gemacht, andere Fragen zu Iösen. Wie Politik and
menschliche Alltagsprobleme sich dabei vermischen, wird an der Vereinbarung
über Rettungsmaßnahmen bei Unglücksfallen in Grenzgewässern
vom 29.10.75 deutlich: An mehreren Stellen bilden die Spree bzw. der Landwehrkanal
die Grenze zwischen Ost- and West-Berlin. Der Fluß bzw. Kanal gehört
noch zu Ost-Berlin, das Westufer zu West- Berlin. Die Grenzsicherungsanlagen
sind am östlichen Ufer angebracht.
Fällt jemand vom West-Berliner Ufer aus ins Wasser, gerät er
in Ost-Berlin in Not. In solchen Fällen hatten es die DDR-Grenztruppen
nicht erlaubt, daß jemand vom Westen aus Hilfe leistet, also auf
Ost-Berliner Gebiet kommt.
In den Jahren 1966 bis 1975 haben fünf Kinder dies mit dem Leben
bezahlen müssen. Erst dann war es möglich die oben zitierte
Vereinbarung abzuschließen. Heute stehen an den Grenzgewässern
am West-Berliner Ufer spezielle Rufsäulen. Fällt jemand ins
Wasser, muß man eine dieser Rufsaulen betätigen. Erst wenn
sie Signal geben, darf man ins Wasser, um den Verunglückten zu retten.
In anderen Bereichen gibt es eine Zusammenarbeit zwischen West- und Ost-Berlin
ohne besondere vertragliche Regelung. Werden entlaufene Kinder in Ost-Berlin
oder in der DDR (z.B. im Transitzug) aufgegriffen, benachrichtigt die
DDR-Regierung den Senat. Über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik
Deutchland, die gegenüber der DDR auch West-Berlin vertritt, wird
dann die Ruckführung über einen innerstädtischen Übergang
vereinbart.
Ähnliche Kontakte gibt es bei Todesfällen oder schweren Erkrankungen
von West-Berlinern, die sich in Ost-Berlin oder der DDR aufhalten.
Zwischen den Feuerwehren, den Zollbehörden und der Polizei in beiden
Teilen der Stadt gibt es allerdings bisher noch keinen Kontakt.
Auch die Stadtplaner West- und Ost-Berlins stehen nicht miteinander in
Verbindung. Dies verhindert jedoch nicht einzelne Vereinbarungen zwischen
den beiderseitigen Konservatoren. So gab der Senat von Berlin 1981 aus
Anlaß des 200. Geburtstages des berühmten Berliner Baumeisters
Karl Friedrich Schinkel die in West-Berlin gelagerten, einst von Schinkel
entworfenen Figuren der Schloßbrücke an Ost-Berlin zuruck.
Ebenfalls nach Ost-Berlin wurden 1983 die Steine des in den 30er Jahren
abgerissenen Ephraim-Palais transportiert.
Von Ost nach West kam unter anderem das Archiv der Königlich-Preußischen
Porzellan-Manufaktur. Schon die Quadriga auf dem Brandenburger Tor war
1958 von West-Berlin nach Ost-Berlin gegeben worden. Die Figur, die heute
auf dem bekannten Wahrzeichen Berlins steht, ist eine Nachbildung mittels
der alten Gußformen, da das original im Krieg zerstört worden
war. Am Neuguß entfernte Ost-Berlin allerdings den preuriischen
Adler sowie das Schinkelsche Eiserne Kreuz, die in dem bzw. auf dem von
der Friedens- und Siegesgöttin gehaltenen Kranz angebracht waren,
als Symbole des Militarismus.
Im September 1982 vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland und die
DDR zum Umweltschutz die Reinigung von Abwässern, die aus dem Umland
nach Berlin (West) fließen, durch den von der Bundesregierung mitfinanzierten
Ausbau von Kläranlagen an den Stadtgrenzen Ost-Berlins.
Ein Vertragsabschluß zwischen zwei Firmen in der Bundesrepublik
Deutschland und der DDR sah den Bau einer Rohrleitung vor, durch die seit
1985 Erdgas aus der UdSSR nach Berlin (West) gelangt.
Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, wurde auch das Berliner
U-Bahnsystem getrennt. Ost-Berlin schloß die auf seinem Gebiet liegenden
U-Bahnhofe der Linien, die von West-Berlin aus Ost-Berlin durchfuhren
(die heutigen West-Berliner Linien 6 und 8), bzw. unterbrach die U-Bahn-Strecken
an der Sektorengrerize (Schließung der Station Warschauer Brücke,
früher Endhaltestelle der heutigen West-Berliner Linie 1; Ende der
alten Linie A am U-Bahnhof Thälmannplatz, heute Otto-Grotewohl-Straße,
Schließung des U-Bahnhofs Potsdamer Platz). Lediglich am Bahnhof
Friedrichstraße, der nur nach genauen Kontrollen betreten and verlassen
werden konnte, hielten die Züge noch.
Für die Benutzung and Unterhaltung der beiden Tunnels in Nord-Süd-Richtung
zahlte der Senat von Berlin 1986 5,8 Mio. DM an die DDR. Der Strom für
den U-Bahnbetrieb ist in diesem Preis nicht enthalten, er kommt aus dem
Westen. Die U-Bahnhöfe in Ost-Berlin sind an diesen Strecken für
Ost-Berliner nicht mehr zuganglich, allerdings sieht man in der Innenstadt
noch die alten Zugänge. Auf den Bahnsteigen stehen Angehörige
der Transportpolizei, um Fluchtversuche über diesen Weg zu verhindern.
Ordnung herrscht in Ost-Berlin übrigens auch im Untergrund.
Als Anfang der 70er Jahre das Walter-Ulbricht-Stadion nördlich des
Oranienburger Tors in "Stadion der Weltjugend" umgetauft wurde,
wurde auch prompt die Benennung der U-Bahnstation geändert - obwohl
die Ost-Berliner es nicht sehen können und die West-Berliner dort
(auf der Linie Tegel - Alt- Mariendorf) nicht aussteigen dürfen.
Ein besonderes Berliner Problem stellte nach der Teilung der Stadt die
S- Bahn dar. Anders als die U-Bahn wurde sie in ihrer Gesamtheit von einer
Stelle aus, der Reichsbahndirektion Berlin in Ost-Berlin unter Oberhoheit
der Vier Mächte, betrieben. Die Deutsche Reichsbahn war zwar der
Betreiber der S-Bahn, nicht jedoch deren Eigentümer. Der blieb nach
einer Anordnung der Aliierten, die das Vermögen der Reichsbahn 1945
beschlagnahmt hatten, das Deutsche Reich.
Nach dem Mauerbau 1961 wurde das S-Bahn-Netz in ähnlicher Weise getrennt
wie das der U-Bahn. Allerdings betrieb die Reichsbahn das S-Bahn-Netz
in den Westsektoren weiter. Die West-Berliner boykottierten dieses Verkehrsmittel
weitgehend, um der DDR keine Einnahmen zu ermöglichen.
Durch den drastischen Rückgang der Fahrgäste sah die Reichsbahn
wiederum keine finanziellen Moglichkeiten, die S-Bahn aus Fahrgeldeinnahmen
zu modernisieren. Als Ende der 70er Jahre der ursprüngliche Gedanke
des Boykotts in den Hintergrund getreten war, wurde die S-Bahn in West-Berlin
dennoch nur von wenigen benutzt, weil sie in keiner Weise mehr den Anforderungen
eines modernen Verkehrsmittels entsprach.
1983 begannen mit Genehmigung der Alliierten Verhandlungen zwischen Vertretern
des Senats von Berlin und der Reichsbahn, die im Januar 1984 zu einer
Lösung führten. Mit sofortiger Wirkung nahm die BVG den Betrieb
der S-Bahn in Berlin(West) auf. Lediglich auf der mehrere hundert Meter
langen Strecke zwischen dem Lehrter Stadtbahnhof und dem S-Bahnhof Friedrichstraße
in Ost-Berlin wird der Zug weiterhin von einem Triebwagenfuhrer der Reichsbahn
gefahren.
Für die Unterhaltung des S-Bahn-Tunnels durch Ost-Berlin sowie den
Betrieb zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Friedrichstraße, zahlte
der Senat 1986 6,2 Mio. DM an die Reichsbahn. Die "Fernbahn"
sowie der Schienengüterverkehr werden in West-Berlin weiterhin von
der Reichsbahndirektion in Ost-Berlin betrieben.
Wirtschaft
Daß Ost-Berlin die Funktionen der Hauptstadt der DDR wahrnimmt,
drückt sich auch in der Beschäftigtenstruktur aus. Während
1985 im DDR-Durchschnitt 21% der Beschäftigten im "nicht-produzierenden
Bereich" tätig waren, belief sich deren Anteil in Ost-Berlin
auf 31,3%. In absoluten Zahlen waren das 209.800 Beschäftigte, die
unter anderem in Bildungseinrichtungen, dem kommunalen Dienstleistungsbereich
oder wissenschaftlichen Einrichtungen arbeiteten. Vor allem machen sich
hier allerdings die zahlreichen in der Verwaltung beschäftigten Angestellten
bemerkbar (Beamte gibt es in der DDR nicht).
Trotzdem wäre es falsch, Ost-Berlin nur als Verwaltungsstadt zu sehen.
Es ist die größte Industriestadt der DDR, auch wenn 1985 nur
25,3% der Berufstätigen in der lndustrie beschäftigt waren (DDR-Durchschnitt:
37,9%). Das waren immerhin 169.900 Menschen (von insgesamt 670.400 Berufstätigen
in Ost-Berlin). Damit waren alleine in Ost-Berlin mehr Menschen in der
Industrie beschäftigt als in den Bezirken Neubrandenburg and Schwerin
zusammen, und mehr als in den Bezirken Frankfurt/Oder, Gera, Rostock und
Suhl.
Der größte industriezweig ist, wie im Westen der Stadt, die
Elektroindustrie, deren Bild nicht nur von alten Berliner Betrieben (z.B.
VEB Bergmann-Borsig oder VEB Kabelwerk Oberspree, das früher zur
AEG gehörte) bestimmt wird, sondern auch von neuen Produktionsstätten
(z.B. VEB Werk fur Fernsehelektronik, VEB Stern-Radio). Über 33%
der gesamten "Industriellen Bruttoproduktion" Ost-Berlins wurden
1985 in den Bereichen Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau hergestellt.
Auf Platz zwei stand der Maschinen- und Fahrzeugbau mit 15,7%. Der VEB
Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn, der zu diesem Bereich gehört,
ist für die DDR ein bedeutender Produzent von Industrierobotern.
Die drittgrößte Branche der Ost-Berliner Industrie mit einem
Anteil von 14,6% (1985) an der industriellen Bruttoproduktion ist die
Leichtindustrie, die Konsumgüter herstellt. Hierzu zählen Möbelbetriebe
(VEB Möbelkombinat Berlin) genauso wie Unternehmen, die Tapeten oder
Kleidung herstellen (z.B. VEB Kombinat Oberbekleidung Berlin).
Ebentalls nennenswert (1985: 12% der industriellen Bruttoproduktion) ist
die chemische Industrie Ost-Berlins (z.B. VEB Berlin Chemie, VEB Berliner
Reifenwerk, Kosmetik-Kombinat Berlin). Bereiche wie die Baumaterialienindustrie,
die Metallurgie oder die Wasserwirtschaft spielen in Ost-Berlin keine
Rolle. Die Lebensmittelindustrie erstellte 1985 10,3% der industriellen
Bruttoproduktion.
Nach dem nichtproduzierenden Bereich und der Industrie ist der Handel
der drittgrößte Bereich, bezogen auf die Zahl der Beschaftigten.
100.700 Personen waren 1985 in dieser Sparte tätig; 2.700 von ihnen
waren selbständig oder mithelfende Familienangehörige eines
Selbständigen.
Es gibt durchaus noch private Läden und Gaststätten in Ost-Berlin.
Wenngleich sie gesamtwirtschaftlich keine große Rolle mehr spielen,
wie aus den Zahlen ja schon deutlich wird, sind sie doch ein wichtiger
Bestandteil der Versorgung der Bevölkerung und werden in den letzten
Jahren sogar wieder zunehmend gefördert. So kommt z.B. jedes zweite
Frühstücksbrötchen in Ost-Berlin aus einer privaten Bäckerei
und über 40% aller gastronomischen Einrichtungen sind in privater
Hand. Der Einzelhandelsumsatz in Ost-Berlin betrug 1985 11,7 Mrd. Mark,
zuzüglich 1,2 Mrd. Mark Gaststättenumsatz. Pro Kopf der Bevölkerung
lag der Einzelhandels- and Gaststättenumsatz in Ost-Berlin bei 9.742
Mark, und damit um 2.939 Mark höher als im DDR-Durchschnitt. Hier
wird die bessere Versorgung Ost-Berlins deutlich, aber auch seine Funktion
als Einkaufszentrum für Bürger aus den Bezirken der DDR und
natürlich Touristen aus anderen Ländern. Hinter den nüchternen
Zahlen verbirgt sich zum Teil ein unsinniger und volkswirtschaftlich teurer
Kreislauf.
Ost-Berlin, die "Hauptstadt" und das "gesellschaftliche
Zentrum des Landes", wird mit Waren bevorzugt versorgt, die aus den
Bezirken der DDR abgezogen werden. Die DDR-Bürger, wissend um das
bessere Angebot, fahren dann aus den Bezirken nach Ost-Berlin, um diese
Waren zu kaufen. So holen sie das in ihren Bezirk zurück, was vorher
von dort nach Ost-Berlin geliefert wurde.
Rund 1.200 Gaststätten, vom Tagescafé bis zur Nachtbar, gab
es 1986 in Ost-Berlin. Damit ist das Gaststättennetz in der "Hauptstadt"
deutlich dichter als in anderen Städten der DDR.
Auch hier muß allerdings in Betracht gezogen werden, daß die
Restaurants nicht nur den Ost-Berlinern zur Verfügung stehen, sondern
von zahlreichen Besuchern in Anspruch genommen werden. Gerade die guten
und nicht allzu teuren Privatlokale außerhalb des Stadtzentrums
sind auf Tage und Wochen im voraus ausgebucht. Für die Gaststätten
gibt es ein System von Preisstufen, die vom Staat festgelegt werden. Ganz
einfache Lokale sind in die Preisstufe I eingeordnet, relativ gute in
III und IV, die besten in die Preisstufe S (gegebenenfalls mit Zuschlägen).
Ein Problem fur die gastronomische Versorgung stellen die "Schließtage"
dar. Viele Lokale haben an einem oder zwei Tagen in der Woche (oftmals
Samstag und Sonntag) geschlossen. Von Seiten des Ost-Berliner Magistrats
gibt es eine intensive Kampagne, diese Schließtage aufzuheben.
Im Ost-Berliner Handwerk (ohne Bauhandwerk) waren 1985 16.700 Personen
beschäftigt, 4.000 von ihnen als Selbständige oder deren mithelfende
Familienangehörige. In Ost-Berlin gibt es genau wie in der ganzen
DDR einen großen Handwerkermangel. Reparaturen dauern oft wochen-
oder monatelang. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Handwerksleistung
wird nach Feierabend und dabei oft gegen Westgeld erbracht. So ist es
nicht verwunderlich, daß die Handwerker in der DDR zu den Spitzenverdienern
gehören.
Ein bedeutsamer Wirtschaftsbereich in Ost-Berlin ist das Verkehrswesen,
in dem 1985 (einschließlich Post und Fernmeldewesen) 74.500 Personen
beschäftigt waren. Das öffentliche Nahverkehrssystem in Ost-Berlin
besteht aus der S-Bahn, die von der Deutschen Reichsbahn betrieben wird,
sowie der U-Bahn, der Straßenbahn und Bussen, die den Berliner Verkehrsbetrieben
(BVB) unterstehen. Die S-Bahn, die in Ost-Berlin 1987 über ein Streckennetz
von 178 km verfügt, ist das Rückgrat der Personenbeförderung.
Sie soll in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden, um die neuen
Wohnviertel zu erschließen.
Als billigstes Transportmittel hat sich in Ost-Berlin die Straßenbahn
erwiesen. 199 Mio. Menschen, mehr als eine halbe Million täglich,
wurden 1985 von ihr befördert (S-Bahn: 167 Mio.). Das Straßenbahnnetz
ist 1987 in Ost-Berlin 455 km lang und wird nicht etwa verkleinert, wie
das in westlichen Städten zu beobachten ist, sondern gleichfalls
vergrößert. Auch die U-Bahn, deren zwei nach dem Mauerbau bei
der Ost-Berliner BVB verbliebenen Linien lange ein Schattendasein führten,
beförderte 1985 89 Mio. Fahrgaste. Die Linie vom Alexanderplatz zum
Tierpark wird zur Zeit in den neuen Stadtbezirk Hellersdorf hinein verlängert.
Weitere 138 Mio. Menschen wurden 1985 mit den innerstädtischen Buslinien
der BVB transportiert. Der Fahrpreis beträgt für die BVB-Beförderungsmittel
20 Pfennig pro Fahrt. Auch die meisten S-Bahn-Strecken innerhalb Ost-Berlins
sind für diesen Preis zu benutzen. Trotzdem beträgt der Anteil
der "Schwarzfahrer" nach Angaben der Ost-Berliner BVB rund 15%.
80% der insgesamt 829 Taxen gehörten 1985 zum Volkseigenen Kombinat
Berliner Verkehrsbetriebe, 164 Taxen waren privat. Die Zahl der Taxen
reicht bei weitem nicht aus, zumal die Fahrpreise vergleichsweise niedrig
sind. Es gibt in Ost-Berlin viele illegale "Taxiunternehmer",
d.h. Personen, die andere mit ihrem Privatwagen zum gewünschten Ziel
chauffieren and sich dieses bezahlen lassen.
1986 erließ der DDR-Verkehrsminister eine Anordnung, derzufolge
Privatleute nebenberuflich mit ihrem PKW als Taxifahrer arbeiten dürfen.
Allerdings sind an die Erlaubnis bestimmte Bedingungen geknüpft.
Zur Zeit ist noch unklar, wie sich diese Regelung auf das Transportangebot
auswirken wird. Für die Personenbeförderung spielt auch in Ost-Berlin
der Individualverkehr eine große Rolle. 385.000 Fahrzeuge waren
Anfang 1986 in Ost-Berlin zugelassen, darunter 249.000 Personenwagen.
Das Straßennetz umfaßt rund 2.100 Kilometer.
Für den Güterverkehr ist neben der Reichsbahn auch der Schiffsverkehr
von Bedeutung. Der Osthafen in Ost-Berlin ist der zweitgrößte
Binnenhafen der DDR (nach Magdeburg). 14,3% des gesamten Güterumschlags
in Binnenhäfen der DDR liefen 1985 über den Osthafen. In absoluten
Zahlen waren das 2,83 Mio. Tonnen.
Der Flughafen "Berlin-Schönefeld" liegt außerhalb
Ost-Berlins im Bezirk Potsdam. Er ist der Zentralflughafen der DDR und
wird auch von westlichen Fluggästen in Anspruch genommen, um die
die Fluglinie der DDR (Interflug) und die der osteuropäischen Staaten
mit Dumping-Preisen werben. So kommt es, daß ein nicht unwesentlicher
Teil des West-Berliner Ferienflugverkehrs und der Gastarbeiter-Heimflüge
über "Berlin-Schönefeld" abgewickelt werden. 1985
benutzten knapp 400.000 West-Bürger den DDR-Flughafen, darunter rund
128.000 West-Berliner.
Ungenügend ist die Versorgung der Ost-Berliner mit Telefonanschlüssen.
Zwar ist diese wesentlich besser als im DDR-Durchschnitt, aber bei weitem
nicht ausreichend, 47,8 Fernsprechstellen (einschließlichTelefonzellen)
kamen Ende 1985 auf 100 Ost-Berliner (DDR-Durchschnitt: 21,8 pro 100 der
Bevölkerung). Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die
Fernsprechanschlüsse der öffentlichen Verwaltung und der gesellschaftlichen
Institutionen in diese Statistik mit einbezogen sind. Es ist also keineswegs
so, daß jeder zweite Ost-Berliner über einen Fernsprechanschluß
verfügt. Das Telefonsystem ist ausgesprochen störanfallig. Die
Wartezeit auf einen Telefonanschluß beträgt mehrere Jahre.
Zwar sollen bis 1990 weitere 100.000 Fernsprechanschlüsse geschaffen
werden, allerdings dürfte Ost-Berlin bis dahin alleine durch die
Binnenwanderung aus den DDR-Bezirken 50.000 Bürger mehr haben, so
daß sich am grundlegenden Mangel auch mittelfristig nichts ändern
wird.
Unverständlicherweise werden auch Neubaugebiete so geplant, daß
nur für jede zweite bis dritte Wohnung ein Telefonanschluß
vorgesehen ist. Ein Ortsgespräch kostet in Ost-Berlin 20 Pfennig.
Man kann auch direkt nach West-
Berlin durchwählen, allerdings wird dies als Auslandsgespräch
berechnet.
Lebensstandard, Soziales und Gesundheit
Ein
Vergleich des Lebensstandards in beiden Teilen Berlins ist kompliziert.
Unzweifelhaft gehört zum Lebensstandard die Ausstattung mit materiellen
Gütern, aber das Leben erschöpft sich ja nicht im Konsum. Wie
will man jedoch die immateriellen Dinge bewerten:
Reisefreiheit zum Beispiel oder die Möglichkeit, die Bücher
seiner Wahl zu lesen, oder das Gefuhl, keine Angst um seinen Arbeitsplatz
haben zu müssen?
Die Durchschnittseinkommen der Arbeiter und Angestellten lagen 1985 bei
1.145 Mark monatlich. Da in diesem Betrag Prämien und Krankengeld
(anstelle der Lohnfortzahlungen bei uns) nicht enthalten und die Abzüge
für Steuern und Sozialversicherung relativ niedrig sind, bedeutet
das, daß ein Arbeiter oder Angestellter statistisch durchschnittlich
rund 1.000 Mark netto
verdiente.
Die Einkommenshöhe wird in der DDR nicht nach Bezirken aufgegliedert,
so daß man eine spezielle Aussage fur Ost-Berlin nicht treffen kann.
Es ist allerdings zu vermuten, daß das Durchschnitiseinkommen wegen
der zahlreichen vergleichsweise gut bezahlten Staatsfunktionäre in
Ost-Berlin höher liegt als in den Bezirken der DDR.
1986 waren in der DDR über 91 % der Frauen zwischen 16 und 60 Jahren
berufstätig oder in der Ausbildung. Über 331.000 Frauen (81%
aller weiblichen Bürger im arbeitsfähigen Alter) gingen 1985
in Ost-Berlin einer Berufstätigkeit nach. Studentinnen, Schülerinnen
der 11. und 12. Klasse und weibliche Lehrlinge sind in dieser Zahl nicht
berücksichtigt. Man muß daher bei der Beurteilung des tatsächlichen
Einkommens das Haushaltseinkommen heranziehen, also das, was alle, die
in einem Haushalt zusammenleben, gemeinsam verdienen. Das Haushaltseinkommen
lag bei Arbeiter- und Angestelltenhaushalten der DDR 1985 bei 1.746 Mark
netto. Auch hier liegen spezielle Angaben für Ost-Berlin nicht vor.
Natürlich spiegeln solche statistischen Durchschnittsgrößen
die tatsächliche Lage des einzelnen nur sehr unvollständig wider.
Die Preise in der DDR und in Ost-Berlin sind staatlich festgelegt. Dabei
gilt, daß Waren des Grundbedarfs (einschließlich Mieten) wenig
kosten. So kommt es, daß die DDR-Bürger - allgemein gesprochen
- durchaus genug Geld haben. Was oftmals fehlt sind die Waren, die sie
dafur kaufen möchten.
Dies ist nicht nur für den einzelnen frustrierend, es ist auch fur
die Volkswirtschaft der DDR gefährlich. Ist zuviel Geld im Umlauf,
für das es keinen materiellen Gegenwert gibt, verlieren die Bürger
das Vertrauen in ihre Währung und diese büßt ihre Anreiz-
und Verteilungsfunktion ein. Sicherlich auch um diese "vagabundierende
Kaufkraft" abzuschöpfen, hat die DDR Spezialläden geschaffen,
in denen man hochwertige DDR-Produkte, die sonst oft in den Westexport
gehen sowie westliche Waren kaufen kann - allerdings fur sehr viel Geld.
Gerade im Stadtzentrum von Ost-Berlin gibt es ein dichtes Netz dieser
"Delikat"- (für Lebensmittel) bzw. "Exquisit"-Laden
(für andere Dinge). Sie dürfen nicht verwechselt werden mit
den "lntershops", in denen man fast alles kaufen kann, was das
Herz an materiellen Dingen begehrt, in denen man allerdings mit Warenschecks
bezahlen muß, die man nur gegen westliche Währung erwerben
kann. Aus diesem Intershop-System erklärt sich auch, warum westliche
Besucher immer wieder auf der Straße angesprochen und zum illegalen
Währungstausch - der schwer bestraft wird - aufgefordert werden.
Neben dem Schwarztauschen gibt es für die DDR-Bürger zwei Möglichkeiten,
an westliche Währung (im allgemeinen D-Mark) zu kommen: Entweder
man läßt sie sich (legal) von westlichen Freunden oder Verwandten
schenken, oder man arbeitet an einer Stelle, an der westliche Besucher
mit ihrer Währung bezahlen und behält diese. Zu denken ist hier
beispielsweise an die Kellner in den Innenstadt-Restaurants Ost-Berlins.
Aufgrund der geographischen Lage Ost-Berlins ist es dort leichter als
in der DDR, an "Westmark" zu kommen, was sich auf den Lebensstandard
natürlich positiv auswirkt.
Die Ost-Berliner profitieren in gleicher Weise wie die übrigen DDR-Bürger
von der Sozialpolitik des Staates, die vorallem die Gründung von
Familien unterstützt. Je 1.000 Personen der Bevölkerung sind
1985 in Ost-Berlin 8,6 Ehen geschlossen worden (DDR-Durchschnitt: 7,9),
gleichzeitig wurden jedoch je 1.000 der Bevölkerung 4,3 Ehen geschieden
(DDR-Durchschnitt: 3,1). Je 1.000 der Bevölkerung wurden 1985 in
Ost-Berlin 14,3 Menschen geboren, 1,9 mehr als in derselben Zeit starben
(DDR: 13,7 pro 1.000; 0,1 mehr als Gestorbene). Diese Entwicklung hat
sicherlich damit zu tun, daß es in Ost-Berlin weniger Rentner gibt
als im Republik-Durchschnitt (14,2% zu 16,6%), und daß der Anteil
der Bürger im arbeitsfähigen Alter entsprechend höher ist
(67,5% zu 64,8%). Der Kinderanteil Ost-Berlins entspricht in etwa dem
DDR-Durchschnitt (18,2% zu 18,6%).
Die Gesundheitsversorgung in Ost-Berlin wird im wesentlichen durch staatliche
Arztpraxen, Polikliniken and Krankenhäuser gewährleistet. Ost-Berlin
ist auch in Bezug auf die medizinische Betreuung der DDR-Bürger das
Zentrum. 126 Krankenhausbetten standen je 10.000 der Bevölkerung
im Jahr 1985 zur Verfügung (DDR-Durchschnitt: 101,6). Am bekanntesten
Ost-Berliner Krankenhaus, der 1710 als Pesthaus gegründeten Charité,
ist ein Fünftel der gesamten medizinischen Forschungskapazitat der
DDR konzentriert. In der Charité befindet sich auch eines der fünf
Herzzentren der DDR sowie eines von drei neurochirurgischen Zentren. In
den neu eingerichteten Bettenhaus finden über 1.100 Personen Platz.
Ein zweites neurochirurgisches Zentrum gibt es im Klinikum Buch, ganz
im Norden Ost-Berlins, das seit der Jahrhundertwende als Krankenhaus dient.
Dort ist auch das Zentralinstitut fur Herz- and Kreislaufforschurig angesiedelt,
das der Akademie der Wissenschaften untersteht. Das Nierentransplantationszentrum
der DDR befindet sich im Krankenhaus Friedrichshain. Dieses ist das älteste
städtische Krankenhaus (1874 eröffnet) und beherbergt heute
auch die zentrale Rettungsstation.
Polikliniken dienen der ambulanten Behandlung. Sie vereinigen mindestens
fünf fachärztliche Abteilungen mit einer zahnärztlichen
und einer Apotheke. Ambulatorien sind kleinere medizinische Einheiten
mit mindestens zwei fachärztlichen und einer zahnärztlichen
Abteilung. Polikliniken and Ambulatorien übernehmen einen großen
Teil der täglichen medizinischen Versorgung. 1985 gab es in Ost-Berlin
59 Polikliniken (davon 20 in Betrieben) und 59 Ambulatorien (davon 26
in Betrieben).
Darüber hinaus wurden die Ost-Berliner 1985 durch 235 staatliche
Arzt- und 71 Zahnarztpraxen betreut. Frei praktizierende Ärzte und
Zahnärzte gibt es noch vereinzelt, ihre Zahl nimmt jedoch ab, da
neue Niederlassungen von der DDR in aller Regel nicht mehr gestattet werden.
Die Arztdichte ist in Ost-Berlin größer als im DDR-Durchschnitt.
237 Ost-Berliner wurden 1985 von einem Arzt betreut (DDR: 439), 1.091
von einem Zahnarzt (DDR: 1.416). Allerdings unterscheidet die Statistik
nicht zwischen den Medizinern, die tatsächlich Patienten behandeln,
und denen, die in der Forschung oder der Gesundheitsverwaltung tätig
sind. In Wirklichkeit dürften die Unterschiede in der Arztdichte
also weniger krass sein, als dies aus der Statistik zu sprechen scheint.
Für den Patienten ist die Gesundheitsversorgung kostenlos. Die Kosten
werden zum Teil direkt vom Staat, zum andern Teil von der Sozialversicherung
aufgebracht.
Wissenschaft
und Kultur
Ost-Berlin ist das geistige, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum
der DDR. Ein Fünftel des gesamten wissenschaftlichen Potentials der
Republik ist hier angesiedelt. Neben der 1810 gegründeten Humboldt-Universität,
deren Hauptgebäude sich Unter den Linden befindet, gibt es weitere
sieben Hochschulen mit insgesamt rund 25.000 Studenten. Auch die Akademie
für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, die Akademie der
Pädagogischen Wissenschaften, die Akademie für ärztliche
Fortbildung sowie die Bauakademie der DDR haben ihren Sitz in Ost-Berlin.
Rund 550 Bibliotheken stehen den Ost-Berlinern zur Verfügung.
Das kulturelle Angebot ist im Rahmen dessen, was in der DDR zugelassen
ist, relativ breit. Die Deutsche Staatsoper und die Komische Oper sind
über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. Der Friedrichstadt-Palast
in der Friedrichstraße ist das einzige deutsche Revuetheater. Im
Oktober 1984 wurde das Schauspielhaus am Platz der Akademie als Konzertgebäude
eröffnet.
Insgesamt verfügt Ost-Berlin über 21 Theaterspielstätten,
deren Aufführungen 1985 1,6 Mio. Menschen besuchten. Das Kabarett
'Die Distel" hat seine Hauptspielstätte direkt gegenüber
dem Bahnhof Friedrichstraße. Für das Kabarett, den Friedrichstadtpalast
und das Schauspielhaus ist es oftmals sehr schwierig, Karten zu bekommen,
nicht nur für Touristen, sondern auch für die Ost-Berliner.
Ein Großteil der Karten geht nämlich nicht über den freien
Verkauf, sondern wird über Betriebe und Behörden vergeben. Die
Arbeiter und Angestellten werden angehalten, regelmäßig Theateraufführungen
beizuwohnen. Betriebe und einzelne Arbeitsgruppen ("Brigaden")
haben oftmals einen "Kulturplan" zu erfüllen.
Die 25 Museen Ost-Berlins zählten 1985 3,7 Mio. Besucher, die meisten
von ihnen dürften dabei (wie in allen Städten) Touristen gewesen
sein. Immerhin liegen beträchtliche Teile des alten Berliner Museenschatzes
in Ost-Berlin, nicht zuletzt auf der Museumsinsel im Stadtzentrum. Das
bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige sehenswerte Museum ist
das Pergamon-Museum.
Neun Tageszeitungen erscheinen in Ost-Berlin. Allerdings sind nur zwei
davon Lokalzeitungen, die "Berliner Zeitung" und die "BZ
am Abend", die nachmittags erscheint. Beide Zeitungen sind Organe
der SED. Allerdings unterscheiden sich die anderen Zeitungen inhaltlich
nicht, da sie alle auf diesselbe politische Linie ausgerichtet und Artikel
oftmals bis in Wortwahl und Bildauswahl identisch sind.
Die Zeitungen, die außer der "Berliner Zeitung" und der
"BZ am Abend" in Berlin publiziert werden, sind die Zentralorgane
der Parteien (Neues Deutschland, SED; Neue Zeit, CDU; Der Morgen, LDPD;
National-Zeitung, NDPD; Bauern-Echo, DBD) sowie der beiden wichtigsten
Massenorganisationen, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (Tribüne)
bzw. der Freien Deutschen Jugend (Junge Welt). Die beliebteste Wochenillustrierte
ist die "Wochenpost", die mittwochs erscheint und oft schnell
vergriffen ist.
Einer der DDR-Rundfunksender (Berliner Rundfunk) behält die lokalen
Ereignisse im Auge. Allerdings läßt sich immer wieder feststellen,
daß die Berichterstattung über Ost-Berlin in allen Medien der
DDR recht umfangreich ist, da der "Hauptstadt" besondere Aufmerksamkeit
zuteil wird.
Das Fernsehen nahm 1956 sein regelmäßiges Programm auf. Seit
1969 strahlt es ein Zweites Programm aus. Farbsendungen nach dem französischen
Secam-System sind seit den frühen Siebziger Jahren die Regel, obwohl
noch nicht alle DDR-Bürger Farbempfänger besitzen. Zuschauer
im Westen können das DDR-Programm nur dann in Farbe empfangen, wenn
sie sich eines Zusatzgerätes bedienen.
1985
hatten 99 Prozent der Haushalte in der DDR ein Rundfunkgerat, über
93 Prozent einen Fernsehempfänger. Nachdem Parteichef Honecker 1971
das Fernsehen ermahnt hatte, "die Programmgestaltung zu verbessern,
eine bestimmte Langeweile zu überwinden, den Bedürfnissen nach
guter Unterhaltung Rechnung zu tragen, die Fernsehpublizistik schlagkräftiger
zu gestalten" (so in seinem Referat auf dem VII. SED-Parteitag),
sind die Sendungen des Fernsehens und des Rundfunks in der Tat attraktiver,
mediengerechter und interessanter gestaltet worden. In aktuellen politischen
Sendungen überwiegt indessen weiterhin ein ermüdender Kommunique-Stil,
gemischt mit einer - nicht zuletzt von DDR-Intellektuellen häufig
gescholtenen - "Hofberichterstattung" über das öffentliche
Erscheinen leitender Funktionäre. In den Unterhaltungssendungen dagegen
ist der Wandel deutlicher sichtbar geworden. Das DDR-Fernsehen hat zahlreiche
französische, italienische, englische und amerikanische Filmstreifen
angekauft und westliche Pop-Stars engagiert. Die Hörer-und Zuschauer-Forschung
wurde als wichtiges Hilfsmittel einer wirkungsvolleren Programmgestaltung
entdeckt und ausgeweitet.
Wie im Westen hat die wachsende Popularität des Fernsehens, das auch
in der DDR zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung geworden ist, den
Lichtspieltheatern Abbruch getan. 1959 gab es in Berlin (Ost) 87 Filmtheater,
1986 nur noch 24, davon 7 Ur- und Erstaufführungskinos.
Die Massenmedien der DDR sind indessen keineswegs die einzige Informationsquelle
der Bürger: Das Angebot westlicher Funk- und Fernsehstationen erreicht
den größten Teil von ihnen. Verboten ist der Empfang westlicher
Sender nicht, erwünscht allerdings auch nicht. In einem Interview
erklarte Honecker im Juni 1974, in der DDR seien "Dutzende westlicher
Sender" zu empfangen; ein Informationsdefizit bestehe deshalb wohl
eher im Westen.
Quelle: Informationszentrum Berlin (West): Ost-Berlin. Autor:
Dr. Eckart Stratenschulte, Verantwortlich: Ernst Luuk. Redaktion: Horst
Peter Schaeffer. Gesamtherstellung: FAB Verlagsserviece, Berlin (West).
1987.
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